Saturday, October 25, 2008

Plastique Fantastique

Als 'Kreative Direktoren' macht unsere Kreativität natürlich nicht bei der Wohnungsgestaltung halt. Isabel und ich inspirieren uns gegenseitig mit Ideen, gehen gemeinsam auf Jagd nach antiken Möbeln, natürlichen Materialien, bunten Stoffen und passenden Accessoires. Die Wochenenden werden zu Entdeckungsreisen und Eroberungstouren durch die wenigen Kaufhäuser Trivandrums. Ein uns vertrauter Möbelhändler, der in abgelegenen Gegenden alte Möbelstücke aufkauft und restauriert, zeigt uns sein Lager. Fantastische Schätze kommen zum Vorschein: Wuchtige Schreibtische und Schränke, klassische Bettrahmen und Sitzgelegenheiten, aber auch herrlich verspielte Truhen, teils mit Geheimkammern! Ich streiche mit der Hand über das Holz und genieße den moderigen Geruch der alten Stücke. John macht daraus wieder würdige Möbel, die jedem Zimmer ein bisschen Eleganz verleihen. An einer Ecke der Scheune hockt ein uralter bärtiger Mann, mit Turban auf dem Kopf. Er trägt ein Lungi, das hiesige Beinkleid der Herren, bestehend aus einem Stück Stoff, was um die Hüfte gewickelt wird. Er zupft Gras aus dem Boden und sammelt es in einem Leinensack. Ich vermute, das ist sein Tageswerk, um genügend Geld für ein wenig Reis und Bananen zu verdienen. Normalität in einem Land, wo es kein soziales Netz gibt. Dennoch zeigt der alte Mann keinen Verdruss. Die Menschen scheinen zufrieden, mit dem was sie haben. In diesem Moment zerstört ein Dröhnen die Idylle. Der Boden vibriert und John schreit mir Worte zu. Der Schreck sitzt mir in allen Gliedern, aber John's ruhiges Gesicht verrät – es besteht keine Gefahr! Direkt neben dem Wohnhaus des Möbelmachers liegt die Landebahn des Internationalen Flughafen Trivandrums. Fassungslos blicke ich ihn und seine Frau an. Wie könnt ihr hier wohnen und schlafen? Vor allem nachts landen hier viertelstündlich Passagiere aus aller Welt, so wie ich vor gut 6 Wochen. Man gewöhne sich daran, lautet die Antwort. Mittlerweile ist die Maschine gelandet, die Motoren tosen noch in meinen Ohren. Im Haus sitzt der Sohn der Familie ruhig an einem Tisch und erledigt seine Hausaufgaben. Kurz denke ich an den Konflikt um das Nachtflugverbot in meiner Heimat und bemerke erneut, wie relativ doch alles ist!

Nach langer Suche haben wir einen schönen alten Schreibtisch, drei handgeknüpfte Teppiche aus Kokosfasern, zahlreiche Kissen mit orientalischen Mustern, und eine hübsche Papierlampe erstanden. Der spontan gekaufte Raumteiler aus schwerem Teakholz wird kurzerhand auf das Dach der Rikscha verladen. Shoppen in Indien macht Spaß! Langsam aber sicher fühlen wir uns ein wenig heimischer, die riesigen Wohnräume gähnen nicht mehr vor Leere. Am Ende des Tages bewundern wir unser Werk.

Das war genau einen Tag bevor der Monsun kam.

Mittlerweile hat sich der Schimmel vorzugsweise auf den neu erstandenen Möbelstücken ausgebreitet. Die Teppiche und Kissen haben wir kurzerhand aus den Zimmern entfernt. Mein Schlafzimmer betrete ich nur noch, um nach dem Stand der Dinge zu schauen und einzelne Gegenstände zu retten. Statt nach geschmackvollen natürlichen Materialien Ausschau zu halten, haben wir die letzten Ausflüge damit verbracht, die Rikscha voller Plastikgegenstände zu laden. Kleiderbügel, ein Besen, der als Kleiderstange dient, und jede Menge Plastikboxen. Hier kommt der Schimmel nicht rein – zumindest schöpfen wir wieder Zuversicht! „Plastique Fantastique“, rufe ich. Unser schönes neues Leben wird vorübergehend wieder verpackt.

Friday, October 24, 2008

Waschgeschichten

Seit gut zwei Wochen sollten wir eine Waschmaschine auf dem Campus bekommen. Bisher mussten wir mit unserem Wäschesack durch den Dschungel laufen, um im Gründerdomizil Wäsche zu waschen. In Aussicht auf die neue Waschmaschine, die uns diese Umstände ersparen würde, verzögerte ich diesen Akt – keine weise Entscheidung! Die Waschmaschine wurde zwar geliefert, aber weder ausgepackt noch angeschlossen. Das dauerte nochmal gut eine Woche. Stolz präsentierten uns die indischen Mitarbeiter das Model der Marke Siemens. Eifrig belud ich die erste Trommel und „verpulverte“ unser letztes Waschmittel. Als ich kein Wasser fließen hörte, wurde ich stutzig. Der Wasserhahn war geschlossen. Das war noch einfach behoben! Im nächsten Moment stellte ich fest, dass an die Maschine nur ein Rohr angeschlossen war. Der Ablauf fehlte komplett. Was hatten sie sich dabei gedacht? Ich erklärte das Prinzip einer Waschmaschine und dass man auch nicht mitten im Waschgang manuell die Laugenöffnung an der Vorderseite öffnen musste, um das Wasser abzulassen. Dafür handelte es sich schließlich um eine vollautomatische Maschine! Nervös blätterte unser Admin-Manager in der Bedienungsanleitung und begann vorzulesen, was beim Auspacken der Maschine beachtet werden muss und wie die Wäsche nach Farben sortiert werden soll. Leicht überrascht versuchte ich den Fokus auf den Anschluss zu lenken. Mittlerweile standen fünf Männer im Raum, die mir skeptisch zuhörten. Ein Spezialist musste geholt werden! Schade nur, dass jener Spezialist erst noch das Abflussrohr aus Bombay bestellen musste und sich somit die Inbetriebnahme der Waschmaschine um weitere vier Tage verzögern würde.

In der Zwischenzeit benutzten wir die alte Waschmaschine, einmal eben durch den Dschungel. Der letzte Waschgang dauerte mehr als fünf Stunden und die Maschine blieb letztendlich komplett stehen, unsere Wäsche im Wasser schwimmend. Genervt wrungen wir die Wäschestücke im Hof. In dem Moment fragte ich mich, was wir hier eigentlich machten? Waren wir nicht gekommen, um den Lehrplan auszuklügeln, mit den Teilnehmern zu kommunizieren und nach Sponsoren zu suchen? Stattdessen vergeudeten wir die wertvolle Zeit mit Wäschewaschen und anderen alltäglichen Dingen. Wir trugen den mit nassen Stoffen bestückten Wäschekorb zurück durch den Dschungel. Sichtlich hatten wir die Nase voll. Isa hängte in Ermangelung einer Wäscheleine die tropfnasse Kleidung auf die Elektroleitung. Halb lachend und halb entsetzt eilte ein Inder herbei und befestigte innerhalb von 15 Minuten eine neon-gelbe Leine zwischen zwei Kokospalmen. Na bitte – es geht doch! Man muss nur sein eigenes Leben einsetzen, dann geht es hier auch vorwärts! Die Wäschestücke wurden mit dem wiederkehrenden Monsunregen nicht trockener.

So nützt uns auch die neue und endlich voll funktionsfähige Waschmaschine wenig, denn weder draußen noch drinnen trocknet momentan die Wäsche. Da schmutzige Wäsche im Nu schimmelt und nasse Wäsche nicht trocknet, werden die Bekleidungsoptionen langsam knapp. Statt uns mit indischen Stoffen einzudecken, die zwar farbenfroh aber mühsam zu tragen sind, beschlossen wir, dass ein Trockner Abhilfe schaffen kann. Da unsere Gesichter schon seit Tagen kein Lächeln mehr verzeichnet hatten, ging man schnell auf unseren Wunsch ein. Sinnvoll ist es vor allem deswegen, weil in Zukunft nicht nur wir sondern ca. 30 weitere Leute in den 2-3 Monsunmonaten ihre Wäsche trocknen müssen. Wir sind gespannt auf den Siemens-Trockner und freuen uns auf den Wäschemarathon am Wochenende!


Thursday, October 23, 2008

Let it Rain

Gerade als ich die Fenster öffnen will, um ein bisschen frische Luft in mein vermufftes Zimmer zu lassen, fängt es wieder an zu regnen. Der Dauerregen könnte durchaus gemütlich sein, wäre da nicht ein ungebetener Gast eingezogen. Entsetzt stellte ich vor einigen Tagen fest, dass mein einziges Schmuckstück – eine Holzkette aus Südafrika, ein Geschenk meiner lieben Mutter – in einem weißen samtigen Mantel auf dem Regal lag. Ich ärgerte mich und suchte nach Erklärungen, hielt das Ganze aber für einen isolierten Vorfall. Am nächsten Morgen bemerkte ich, dass meine geliebte, aber hier nicht so oft benutzte, Umhängetasche ebenfalls angegriffen war. Nun alarmiert, untersuchte ich weitere Gegenstände. Nichts! In Isabel's Zimmer kam ich dem Übeltäter auf die Schliche: auf den brandneuen Bambusvorhängen gedeihte ein Wald von Schimmelpilzen. Fasziniert und angeekelt zugleich betrachtete ich jede einzelne Lamelle. Der Bambus war im „Dschungel um die Ecke“ gefällt, die Vorhänge in mühsamer Handarbeit gefertigt, und von Isa und mir sehnlichst erwartet worden. Und nun das! Traurig und ein bisschen hilflos blickten wir uns an. Wir beschlossen, im Internet zu recherchieren, was gegen Schimmel zu tun ist. Ich erhoffte mir, einfache Tricks zu finden, mit denen das Problem schnell behoben werden konnte. Stattdessen fanden wir ausführliche Informationen zur Ursache und Verbreitung von Schimmel. Eines stand fest: Mit Beginn des Oktober-Monsuns, der „gerade mal“ einen Monat anhält, war die Luftfeuchtigkeit drastisch gestiegen. In diesen Tagen liegt die Luftfeuchtigkeit bei fast 100%. Alle Fenster waren stets geöffnet, um die frische Brise durch die Zimmer wehen zu lassen. Leider hielt damit auch die Feuchtigkeit Einzug. Im nächsten Moment packte uns die Panik! Wir schlossen alle Fenster und schalteten die Deckenventilatoren ein (kurz darauf fanden wir heraus, dass sich Schimmelsporen über die Luft verteilen und wir mit dem Zimmerquirl ordentlich nachhalfen). Natürlich war uns bewusst, dass die Feuchtigkeit bereits im Zimmer war. Als erstes dachten wir an Entfeuchter, wofür jedoch ca. 800 Euro pro Zimmer investiert werden müssten. Auch eine Klimaanlage war nicht viel günstiger. Unterdessen schimmelte mein Zimmer weiter. Ich fand die grünen, weißen, gelben und schwarzen Blüten in meinen Schuhen, an Bilderrahmen, in Kleidungsstücken, ja sogar an technischem Equipment. Ein Sofort-Rettungsprogramm musste her! In der Stadt kauften wir Plastikboxen unterschiedlichster Größen, um die noch unversehrten Gegenstände abzuriegeln. Wie beruhigend, dass sich der Schimmel bis dahin weder an meinen nagelneuen Sportschuhen, noch an meinem ebenfalls unbenutzten Schlafsack festgesetzt hatte. Auch meine Fotos, Briefe und Bücher konnte ich retten. Dem Rat der Einheimischen, einfach alles in die Sonne zu stellen, konnten wir bis jetzt noch nicht folgen. Die wärmende Sonne haben wir seit vielen Tagen nicht mehr gesehen! Aus dem tropischen Paradies ist für uns ein Stück weit eine tropische Hölle geworden. Als ich am Abend feststellte, dass auch mein Bett und meine Matratze befallen waren, bat ich um Asyl in Isa's Zimmer. Reichlich ratlos beobachten wir den Monsun durch die Scheiben – es fällt uns schwer, positiv zu denken und uns daran festzuhalten, dass irgendwann die Sonne wieder scheinen wird.

Wednesday, October 15, 2008

White Cane Day

Tack, tack, tack, tack........an das Geräusch des Blindenstocks habe ich mich mittlerweile gewöhnt. Aber ihn selbst zur Orientierung zu benutzen, ja sogar darauf angewiesen zu sein, wenn auch nur für eine halbe Stunde, ist ein spannendes Erlebnis. Meine Augen mit einem bunten Schal verbunden, entdecke ich zunächst ohne Stock Isabel's Zimmer. Mit den Armen nach vorne ausgestreckt taste ich mich durch den Raum. Sogleich halte ich die lose Leiter vom Hochbett in den Händen. Danach stolpere ich über zwei Stühle und erfühle einen Fensterrahmen, wo ich eigentlich eine Tür vermutet hatte. Ein weiteres Bett und das weiche Gefühl der Bettwäsche. Irgendwo hier muss doch der kleine Stofftiger sein. Ich ertaste den Schrank und den Schreibtisch – ah Stofftiger gefunden! Die Tür zum Balkon und danach eine leere Wand. Aber wo zum Teufel steht die Waschmaschine – in der Mitte des Raumes? Mit weit ausgestreckten Armen und unsicheren Beinen gehe ich quer durch den Raum. Eine Ecke des Zimmers hatte ich ausgelassen. Dort steht ein großer Karton. Darin ist die neue Campus-Waschmaschine verpackt. Sabriye gibt mir die Aufgabe, mich auf kürzestem Weg zur Tür zu bewegen. Schnurstracks bin ich draußen, mein Orientierungssinn lässt mich nicht im Stich. Hier bekomme ich den Blindenstock in die Hand gedrückt. Langsam vor mir von rechts nach links rollend, aber nicht zu weit, bewege ich mich in Richtung des schmalen Ganges vorbei an den anderen Zimmern. Plötzlich senkt sich der Stock. Isabel schnappt nach Luft. Wäre ich doch beinahe die Treppe runter gefallen! Konzentriert versuche ich die Richtung neu zu bestimmen. Die Umgebung ist mir vertraut, der Gang muss weiter rechts liegen. Mutig taste ich mich vorwärts, folge dem weißen Stock, der mich vor Hindernissen warnen soll. Sabriye und Isabel schleichen hinter mir her. Plötzlich taucht vor mir eine männliche Stimme auf. 'Madam...' und ein paar unverständliche Worte. Ich denke, dass es Pappan der Wächter sein muss. Er lacht und gibt sich als Pillai der Koch aus. Wir müssen alle lachen. Ich hätte es besser wissen können, denn Pillai ist größer als Pappan. Abenteuerlustig laufe ich weiter und bleibe diesmal an der Treppe stehen. Treppauf fällt mir leichter als treppab. Mein Gleichgewichtssinn gerät beim Treppenabgang außer Kontrolle. Am Ende der Treppe mache ich einen weiten Ausfallschritt, um sicher zu gehen, dass keine Stufe mehr folgt. Plötzlich stehe ich vor einer weiteren Treppe, die nach oben führt. Hat das Gebäude drei Stockwerke? Das war mir nie aufgefallen! Wohin führt diese Treppe? Jetzt bin ich experimentierfreudig. Die Treppe endet an einer Tür, die zur Dachterasse führt. Leider ist sie abgeschlossen und ich muss die Erkundung an einem anderen Tag fortsetzen.

Diese kurze Exkursion hat Spaß gemacht, dennoch bin ich froh, den Schal abnehmen und die Augen wieder öffnen zu können. Der Campus ist eine recht geschützte Umgebung, aber wenn ich an das Chaos in der Stadt denke, bin ich froh, dass ich meine Augen zur Orientierung habe. Diese Übung gibt nur einen kleinen Einblick in die Welt der Blinden und einen Geschmack der Hürden, die Blinde jeden Tag bewältigen. Natürlich fällt es ihnen leichter, dennoch ist es beeindruckend, wie selbstsicher und geschwind sich Sabriye über den Campus bewegt. Dieser gleicht momentan noch einer lebhaften Baustelle, die jeden Tag neue Hindernisse aufweist. Mal hängen Kabel quer durch die Luft, mal werden Schächte gegraben, mal liegt ein Haufen Zement im Weg. Heute ist der Tag des Blindenstocks (White Cane Day). Ein Tag, an dem ich besonders dankbar für mein Augenlicht bin und ein Tag an dem ich zu denen aufblicke, die die Welt auch ohne dergleichen selbstbewusst meistern.

Monday, October 13, 2008

Aspire One

Ein Hoch auf den kleinen Blauen! Mein Mini-Notebook hat sich prima bewährt. Es macht Spaß, kurz vor dem Einschlafen im Bett noch ein paar Zeilen zu schreiben. Der Kleinste aus dem Hause Acer wiegt weniger als ein Kilogramm und misst noch nicht einmal ein A4-Blatt. An die etwas kleinere Tastatur haben sich meine Finger schnell gewöhnt, sodass ich weiterhin flott meine Texte schreiben kann. Auch das Bildschirmformat ist dank Zoom bei gelegentlicher Verwendung unproblematisch. Mein Begleiter trägt den stilvollen Namen 'Aspire One' und zieht sowohl Sehende als auch Blinde in seinen Bann. Die tiefblaue Farbe setzt sich zwischen all den schwarzen und weißen Laptops besonders schön ab. Das handliche Format bei einem erstaunlichen Inhalt und ausreichend Speicherplatz entzückte vor allem unseren blinden Computerspezialisten. Auch der Akku kann fast jeden Stromausfall überbrücken. Die indischen Steckdosen sind übrigens praktisch für vielerlei Stecker. Für deutsche Geräte braucht man zumindest in Kerala keine Adapter. Bevor meine Augen zufallen, speichere ich meinen Text, klappe den Kleinen zu und schiebe ihn unter mein Kissen. In der Hoffnung, dass am nächsten Tag die Internetverbindung funktioniert, sodass ich den Text veröffentlichen kann.


Wednesday, October 1, 2008

The Milky Way

Endlich ist es soweit - die Köche sind da! Gleich zwei Köche versorgen uns rund um die Uhr mit leckeren Speisen. Bevor allerdings die erste Mahlzeit zubereitet werden kann, muss die Küche zunächst nach einem alten Ritual eingeweiht werden: Ein Topf mit Milch muss zum Überkochen gebracht werden, woraus sodann ein Dessert gezaubert wird, von dem alle kosten müssen. Die Köche, die Campusbewohner und zahlreiche Angestellte versammeln sich zu einer astrologisch günstigen Zeit in der Küche. Gegen 11.30 Uhr werden die Inder nervös, denn der Herd funktioniert noch nicht. Das Zeitfenster, in dem diese Zeremonie durchgeführt werden kann, ist begrenzt. Ohne dieses Ritual steht die Küche unter einem schlechten Stern. Es muss schnell eine provisorische Kochplatte her, die hektisch an die Gasflasche angeschlossen wird. Sabriye entfacht blind mit einem Streichholz das Feuer. Mit Spannung wird das Überkochen der Milch erwartet und mit großem Applaus begrüßt. Im nächsten Moment legen die Köche los und schnippeln in Windeseile Obst. Es werden Fruchtsäfte und kleine süße Teigkugeln serviert. Aus der Milch wird ein süßer Trunk mit Bananenstückchen gekocht. Alle sind froh, dass die Zeiten ein Ende haben, wo wir im Dunkeln mit der Kopflampe durch den Dschungel stolpern, um im anderen Haus etwas zu kochen. Und die Köche sind froh, endlich in ihrem Element zu sein!

Wednesday, September 24, 2008

Ameisen & Co

Es begann harmlos mit Ameisen in Bananen, Würmern in Weintrauben, und Insekten im Müsli. Als wir jedoch unsere Koffer packten, um auf den Campus zu ziehen, beginnt der Wettkampf mit den Ameisen. Sie spüren in meinem Schrank noch versiegelte Müslikekse und Reiswaffeln auf, die ich für schlechte Zeiten aufheben wollte. Verständlicherweise führen ihre Instinkte auch zu meinen Schokolade-Reserven. Nachdem alles Essbare aus dem Zimmer entfernt ist, wähne ich mich in Sicherheit.

Am nächsten Tag krabbelen die Ameisen jedoch noch immer emsig an meinem Schrank entlang. Um das Ziel ihrer Reise aufzuspüren, muss ich lediglich ihrem Pfad folgen. Erstaunt stelle ich fest, dass sie auch an meinen Medikamenten, vor allem an den Mullbinden und Gummihandschuhen, Gefallen finden. Erst später, als ich sie auch im Rückenpolster meines brandneuen Reiserucksacks finde, geht mir ein Licht auf: Sie suchen nach geeigneten Nestern, um ihre Eier abzulegen. Ob im Fußbett meiner bequemen Josef-Seibel-Sandalen oder zwischen den Watteohrstäbchen im Bad – die Ameisen fühlen sich bei mir wohl.

Nach drei Tagen haben sie meine Nerven dermaßen strapaziert, dass ich in der Nacht sehr schlecht schlafe. In Gedanken stelle ich mir vor, wie im Schlaf eine Kolonne Ameisen an meinem Kopfkissen vorbeimarschiert. Als ich am nächsten Morgen an einem meiner T-Shirts winzige Eier entdecke und sich mehrere Dutzend Ameisen unter dem Keyboard meines Laptops tummeln, liegen
meine Nerven buchstäblich blank. Mit entsetztem Gesicht renne ich ins Buero und verkünde, dass ich so nicht weiter leben könne. Noch am selben Tag wird Ameisengift gestreut, jedoch erst das Killerspray, welches ich in einem modernen Laden in der Stadt selbst ergattere, kann meinen Seelenfrieden wiederherstellen.

Nachdem ich die Ameisenstraße ausgelöscht und die letzten Ameisen unter meinem Lieblingsshirt aufgespürt hatte, will ich mich erleichtert ins Bett legen. Nach wenigen Sekunden spüre ich einen stechenden Schmerz an den Beinen – ein Ameisenbiss! In meinem Bett! Nicht lange dauert es, bis die Quelle des Übels gefunden ist. Am Ende der neu gekauften Matratze befindet sich an der Naht ein Schlupfloch, wo reger Ameisenverkehr herrscht. Also war ich doch nicht paranoid gewesen! Die Ameisen am Kopfkissen hatte ich mir nicht eingebildet! Noch bevor sie sich versehen können, befördere ich auch die letzten Störenfriede ins Jenseits und schlafe an dem Abend, bewaffnet mit dem Killerspray, besonders zufrieden ein.

Sunday, September 21, 2008

Honky Tonk

Am ersten Wochenende machen wir zu Isabel's Geburtstag einen Ausflug in die etwa 150km entfernte Küstenstadt Allepey. Dort soll es schöne Teppiche und Körbe geben, die wir für unsere Wohnung gut gebrauchen können. Unser Fahrer, ein Bekannter, verspätet sich um zwei Stunden, sodass wir im dichten Verkehr fahren müssen. Aus der geplanten dreistündigen Fahrt werden sechs Stunden – einfacher Weg! Was als gemütlicher Ausflug geplant war, wird zum Albtraum. Schon in Trivandrum wollen wir fast umkehren, weil uns das Verkehrschaos übermannt. Unser Fahrer manövriert das Auto geschickt durch die unberechenbaren Objekte, die uns von allen Seiten über den Weg rollen.

Man muss sich vorstellen, dass auf den holprigen Straßen wirklich alles unterwegs ist. Vom Auto, über die Rikscha (einer Art motorisierter Kutsche), Fahrrädern und Fußgängern, bis zu Lastwagen, uralten Bussen mit völlig verrückt gewordenen Busfahrern, und nicht zu vergessen die gelegentlichen Kühe und Ziegen und sogar ein Elefant. Was man fast nicht beschreiben kann ist jedoch die Art und Weise, in der man sich fortbewegt. Ein einziges Kreuz und Quer ohne jegliche Anzeichen von Regelungen. Die meisten wissen zwar wie sie ihr Fahrzeug bedienen, aber haben sich nie mit Verkehrsregeln oder Fahrtheorie befasst.

So wird zum Beispiel die Hupe etwa aller 30 Sekunden dazu missbraucht, den eigenen Standort zu signalisieren. Egal, ob man sich von hinten einem anderen Fahrzeug nähert oder ein Fahrzeug auf der eigenen Spur entgegen kommt – es wird gehupt bis zum Umfallen! Schon zu Beginn der Reise scherzten wir mit unserem Fahrer, der ansonsten ein eher untypischer Inder ist, dass das jetzt hoffentlich keine Fahrt mit mehrstündigem Hupkonzert werden würde. Er lachte und beruhigte uns. Nach etwa einer halben Stunde und jenseits der Stadtgrenze machten wir ihn erneut darauf aufmerksam, dass er (scheinbar unbewusst) immer noch völlig grundlos aller 30 Sekunden hupt. Nicht nur, dass das auf die Dauer ziemlich nervt, auch ergibt es keinen Sinn, denn alle Verkehrsteilnehmer hupen (außer den Tieren) und folglich reagiert niemand darauf. Selbst streunende Hunde, die teilweise mitten auf der Straße ein Nickerchen machen, reagieren überhaupt nicht. Nach mehrfachem Gehupe entscheidet sich der Fahrer, um die Tiere herumzufahren. Auch die vielen angepflockten Ziegen und Kühe grasen in aller Ruhe inmitten dieses Höllenlärms.

Nach sechs Stunden Anspannung kommen wir endlich am Zielort an. Wir kaufen einen Teppich und trinken einen Kaffee. Das Highlight des Tages, den Sonnenuntergang, erleben wir mit vielen anderen Menschen, die mit ihren Familien einen Ausflug zum schönen Sandstrand von Allepey machen. Die bunt gekleideten Frauen und Kinder freuen sich, von mir fotografiert zu werden. Danach geht es mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 40 km/h (die empfundene Geschwindigkeit ist sehr viel schneller!) wiederum sechs Stunden zurück Richtung Trivandrum. Der Verkehr hat nach Einbruch der Dunkelheit stark nachgelassen und unser Fahrer passt sich unseren Wünschen an. Er verzichtet aufs Hupen und betätigt stattdessen seine Lichthupe. Er blendet jedes entgegenkommende Fahrzeug mehrmals und warnt jedes Fahrzeug vor uns, bevor wir zum Überholen ansetzen. Unser Ausflug endet nachts halb zwei und wir sind heilfroh, in einem Stück wieder auf dem Campus zu sein!





Tuesday, September 16, 2008

Holy Internet

Nach vielen missglückten Versuchen, im Internet Mails zu checken oder gar zu chatten, merke ich schnell, dass die meisten Dinge hier nicht so funktionieren wie sie sollten. Abgesehen von den allabendlichen Stromausfällen (natürlich nicht immer zur gleichen Zeit), bleibt auch tagsüber ungeplant der Strom mal weg und man weiss nie, ob nur für eine halbe Stunde oder gleich einen halben Tag. Dazu kommt, dass die Stromstärke extrem schwankt, was man an der Geschwindigkeit der Deckenventilatoren oder der Intensität des Lichts beobachten kann. Das bedeutet, alle empfindlichen elektronischen Geräte müssen unbedingt an einen Adapter angeschlossen sein, um die Stromschwankungen auszugleichen und die Geräte nicht zu schädigen. Dies ist gleichzeitig eine Backup-Batterie, damit beim Stromausfall die Daten am Computer nicht verloren gehen.

Mit dem Internet verhält es sich ähnlich unberechenbar - die Verbindung steht und fällt nach Lust und Laune. Zusätzlich muss ich mir momentan mit Isabel eine sehr langsame Internetverbindung teilen, dass heißt wir nutzen simultan einen Zugang, wodurch sich die Geschwindigkeit nochmal halbiert. Manchmal funktioniert es, meistens nicht und ganz selten läuft alles so, dass wir einigermassen effektiv sind. Das macht natürlich wenig Spaß so zu arbeiten, mal ganz abgesehen davon, dass wir uns momentan noch inmitten einer Baustelle befinden, wo es überall staubt und hämmert. Daher kann ich auch die Blogeinträge leider nur zeitverzögert publizieren. Ich schreibe offline und warte auf den Moment, in dem ich wieder Zugang zum heiligen Internet bekomme.

Monday, September 15, 2008

Erster Arbeitstag

Gegen 9 Uhr hupt ein Moped vor dem Tor und Balaraman, unser blinder Coach, der für die IT-Kurse zuständig sein wird, holt uns ab. Wir laufen zusammen zum Campus, der keine fünf Minuten von unserer vorübergehenden Unterkunft entfernt ist. Dort erwarten uns ein paar Herren, die für Administration und Überwachung der Bauarbeiter zuständig sind. Da am Vortag das große Onam-Festival zu Ende gegangen ist, sind aber keine Arbeiter gekommen. Sie werden am Ende jeden Tages bezahlt und kommen nur dann, wenn sie für den Tag das Geld benötigen. Ich werde von allen freundlich begrüßt und mehrmals offiziell willkommen geheißen. Es ist mühsam, dem „indischen“ Englisch zu folgen und oftmals blicke ich fragend Isabel an, um mir bei der Interpretation zu helfen. Noch lustiger, aber auch irritierender als erwartet, ist das ständige Kopfwackeln von rechts nach links über den Zenith, was soviel wie 'ja' bedeutet. Da diese Bewegung dem Kopfschütteln der westlichen Welt nahe kommt, kann es zu leichten Missverständnissen führen, wenn jemand zustimmt, aber mit dem Kopf wackelt. Ein paar mal musste ich mir das Lachen verkneifen.

Leichte Frustrationen stellen sich ein, als wir feststellen müssen, dass auf dem Campus noch keine einzige Toilette in Betrieb ist, dass es kein Trinkwasser gibt und dass für einen wichtigen Besuch am Donnerstag das Zimmer noch nicht bezugsfertig ist. Die Antwort auf alles lautet „Tomorrow, it will be done.“ In der weisen Voraussicht, dass aus morgen übermorgen werden wird, machen wir entsprechend Druck und hoffen, die Delegation läuft effektiver als am ersten Tag. Überhaupt scheint hier jeder an jeden zu delegieren. Meine erste Lektion: Wenn du eine Aufgabe bekommst, delegiere sie schnell weiter!

Sunday, September 14, 2008

This Place is Real!

Gegen Mittag zwinge ich mich aus dem Bett, um den Jetlag zu überkommen und mich schnellstmöglich an die weiteren 2.5 Stunden Zeitunterschied, das heißt 3.5 Stunden im Voraus zu Deutschland, zu gewöhnen. Zum Frühstück finde ich nichts Leckeres und bin froh über meinen Lieblingstee und ein paar Äpfel vom heimischen Baum, die die lange Reise überstanden haben. Leitungswasser wird über ein Gerät destilliert, so dass man Trinkwasser auf Knopfdruck hat (solange der Strom nicht ausfällt!). Aus der Dusche kommt - im Gegensatz zu Qatar - kein warmes Wasser, sondern angenehm kaltes. Der Duschkopf ist in der Wand fixiert und ein Loch in der Ecke des Bades funktioniert als Abfluss, so dass das etwa vier Quadratmeter große Bad regelmäßig geflutet wird. Die ersten Mitbewohner haben sich auch schon vorgestellt: Geckos, Megaspinnen, und Riesenameisen. Es gibt so gut wie keine Mücken – die Fenster haben trotzdem alle Moskitonetze.

Nachdem sich auch Isabel aus dem Bett geschwungen hat, laufen wir zum Campus des „International Institute for Social Entrepreneurs (IISE)“. Als ich vor dem Tor stehe, kann ich nicht fassen, dass ich tatsächlich angekommen bin. Die Gebäude sehen (natürlich) genauso aus wie auf den vielen Fotos, die ich bereits gesehen habe. Dennoch fällt mir auch hier wieder der begrenzte Raum und die enge Bebauung auf. Wir halten uns fast drei Stunden auf dem Gelände auf und begehen alle Klassenräume, das Wohnheim, das Auditorium und schließlich das Haus, in dem sich unsere Büros und unsere Wohnräume befinden. Als wir uns in die Terassentür unseres Wohnzimmers setzen, um die frische Brise zu genießen, lasse ich meinen Blick über den See und die unzähligen Palmen schweifen und mir entfleucht mit einem Seufzer: „So this place is actually real!“

Erschöpft vom Rundgang essen wir noch etwas und ziehen uns dann zurück. Ich bin dankbar über die Kopflampe, die mir meine beste Freundin zum Abschied noch geschenkt hat. An diesem Abend fällt zum ersten Mal für eine halbe Stunde der Strom aus.

Erste Eindrücke

Aus dem Flugzeug nach Trivandrum scheint der Vollmond auf den Indischen Ozean und beleuchtet unseren Weg. Kurz denke ich an Deutschland, denn der Mond ist jetzt auch dort zu sehen. Gespannt presse ich die Nase ans Fenster. Obwohl es 4 Uhr morgens und draußen stockdunkel ist, habe ich in dieser Nacht noch kein Auge zugetan. Der Flug verläuft sehr ruhig und angenehm, da das Flugzeug kaum besetzt ist. Sicher nicht viele Keralites können sich den Flug mit Qatar Airways leisten. Endlich ein Zipfel Land in Sicht – das muss es sein! Ich kneife die Augen zusammen und versuche angestrengt etwas zu erkennen. Da nicht viel beleuchtet ist, liegt das Abbild mehr in meiner Fantasie. Ich erkenne Umrisse von Palmen, die zwischen jedem Haus und an jeder Straße zu wachsen scheinen. Die Stadt ist hügelig, denn ich kann einen Höhenunterschied wahrnehmen. Plötzlich stelle ich schockiert fest, wie tief wir über den Häusern bzw. Hütten fliegen. Ich denke an die Menschen, die dort gerade tief schlafen und dass ich bei dem Geräuschpegel wahrscheinlich aufrecht im Bett sitzen würde und mir angst und bange wäre.

Am Flughafen angekommen verläuft alles glatt. Die Menschen sind sehr freundlich und die erwartete Drängelei bleibt aus. Trivandrum hat einen kleinen Flughafen, vor der Tür stehen dennoch genügend wartende Menschen. Erleichtert erblicke ich eine winkende Hand, die zu Isabel gehört. Wir werden hier für 16 Monate zusammen leben und arbeiten. Auch Sateesh, unser Mann für Alles, begrüßt mich herzlich. Umringt von mindestens vier weiteren Indern kommt mein Gepäck in den Kofferraum eines weißen runden Taxis. Erst im Auto stelle ich fest, dass die Männer um Geld betteln. Auf dem Weg zur Unterkunft strömen erste Eindrücke auf mich ein: Palmen wohin das Auge blickt, dazwischen Hütten und kleinere Bauten, auf einer holprigen Straße geht es bei wenig Verkehr immer entlang von Mauern aus der Stadt hinaus Richtung Vellayani. Selbst am Sonntag um 4.30 Uhr sind schon einige Menschen unterwegs, vermutlich um den letzten Tag des Onam-Festivals zu beginnen, ein Fest vergleichbar mit der Bedeutung unseres Weihnachtsfests.

Nach etwa 30 Minuten erreichen wir unsere Unterkunft. Völlig überdreht erzählen wir noch ein paar Stündchen, bis es draußen ganz hell ist. Im Morgengrauen wird mir bewusst, wohin es mich verschlagen hat. Man könnte meinen wir sind mitten im Dschungel – überall wachsen riesige Kokospalmen, Bananenstauden, Monstera-Pflanzen und andere exotische Gewächse. Die Grundstücke liegen idyllisch an einem See, die Straße ist absolut verkehrsberuhigt, aber die Gegend ist enger bebaut, als ich mir vorgestellt hatte. Der Sonnenaufgang wird begleitet von unheimlichen Tiergeräuschen, mit denen ich irgendwann doch einschlafe.

Saturday, September 13, 2008

Good-bye Qatar!

Ein ausgedehntes Frühstück im Doha Four Seasons Hotel und eine einstündige schwedische Massage werden zum krönenden Abschluss meines Zwischenstopps in Qatar. Den Manager des Hotels konnten wir nach hartnäckiger Nachfrage sogar überzeugen, uns einen Blick über die Bucht aus der Royal Suite in der obersten Etage zu gewähren. Es ist erstaunlich, was dieses relativ kleine Land aus der Wüste gestampft hat und in Zukunft zu schaffen plant. Fragwürdig bleibt der Umgang mit Energie, Wasser, Müll, und das Klassensystem der Einwohner. In Erinnerung bleibt mir die weite Wüste, die zutraulichen Kamele, der Basar, die Scheichs und die brennende Hitze.


Nach 10 Tagen Doha mit jeder Menge Erlebnissen im Gepäck – einem guten Mix aus Entdecken und Relaxen – geht es nun weiter nach Indien. Mindestens genauso exotisch und dennoch ganz anders als der Orient stelle ich mir die chaotisch-charmante Welt der Inder vor. Statt kargem Land erwarten mich grüne Kokospalmen, statt dunklen Gewändern tragen die Menschen bunte Stoffe, und statt erhabenen Scheichs trifft man überall auf lustig mit dem Kopf wackelnde Inder. Soweit meine Vorstellungen...

Friday, September 12, 2008

Sheik it!

Die Macht der Scheichs

Nicht nur der Reichtum, sondern auch die Macht liegt in den Händen der Scheichs. In Qatar gibt es kaum einen Bereich des Lebens, der nicht kontrolliert wird. Ob Firmenbesitz, Internettelefonate, Familienverhältnisse oder Verkehrsregelungen - überall hat der Staat und somit auch die Scheichs die Finger im Spiel. Kriminalität gibt es hier so gut wie nicht, denn die Strafen - und somit das Risiko aus dem Land verbannt zu werden - sind zu hoch.

Auch beim Autofahren merkt man schnell, wem die Straße gehört. Selbst im innerstädtischen Berufsverkehr kommt nicht selten von hinten ein Landcruiser angerast, fährt dicht auf und gibt per Lichthupe das Signal, die linke Spur freizumachen. Runter von meiner Straße - jetzt komm ich! Im Gegensatz dazu verfolgte ein Scheich eine junge Europäerin bis zu ihrem Haus und zwang sie unter Drohungen, sich bei ihm dafür zu entschuldigen, dass sie ihn wenige Minuten zuvor unspektakulär überholt hatte.

Eine angenehme Abwechslung war ein Strandausflug zu einer Landzunge im Nordosten des Landes, wo das Leben wieder perfekt schien. Sandstrand, glasklares blau und türkis schimmerndes Wasser mit Badewannentemperatur. Weit und breit keine Menschenseele, nur drei Hunde, die zu uns gehören - ein seltenes Bild, denn Haustiere gibt es hier eigentlich nicht. Europäer bleiben unter sich - die Welt des Islam und der Ölscheichs ist doch zu fremd, um darin aufgenommen zu werden. Man wird geduldet, denn man bringt Fortschritt, aber man kann sich sicher sein, dass die Straßen auch weiterhin allein den Scheichs gehören!


Thursday, September 11, 2008

Under Construction

Ein ganzes Land im Umbau

Qatar scheint eine einzige Baustelle zu sein. Überhaupt tangieren wohl die Meisten das Baugewerbe. Die rund eine Million Einwohner bestehen zu 80% aus Ausländern, unter ihnen ein großer Anteil Inder. Die Kataris selbst verfügen über unvorstellbare Reichtümer - Quellen sind Erdöl und Erdgas. Das viele Geld wird wiederum strategisch in die Infrastruktur des Landes investiert. Es entsteht unter anderem ein neuer Flughafen, der zur internationalen Drehscheibe ausgebaut werden soll; eine 400 Hektar große künstliche Insel "The Pearl", auf der bald Wolkenkratzer stehen werden; eine 45 km lange Brücke, die Qatar mit Bahrain verbinden soll; es werden ganze Stadtteile aus dem kargen Boden gestampft. Die riesigen Bauprojekte werden von Ablegern westlicher Baufirmen ausgeführt, wodurch wiederum viele Expatriates aus Europa und Übersee in der Bauleitung beschäftigt sind und vorübergehend in Qatar eine zweite Heimat finden. Menschen aus Billiglohnländern, darunter viele Inder aus dem Bundesstaat Kerala, schuften für sehr geringe Stundenlöhne auf den unzähligen Baustellen Qatars.

Inmitten all der Buddelei liegt in alten Gemäuern der Zouk - der alte Basar, wo Händler vor allem Stoffe und Gewürze anbieten. In einem der vielen Lädchen geht ein Teppichweber seinem Handwerk nach. Durch die engen Gassen schieben die alten Männer Schubkarren gefüllt mit Waren. Es gibt viel zu entdecken, jedoch fühlt man sich als Europäer, vielleicht vor allem als Frau, immer sehr beobachtet. Anders auf dem Kamelbasar unter freiem Himmel außerhalb des Stadtzentrums - hier wird man freundlich begrüßt und kann nach Herzenslust fotografieren. Die Kamelhüter stammen aus arabischen Ländern und wohnen unter einfachsten Bedingungen direkt neben den Kamelgehegen. Ein Stück authentischer Orient ist zu spüren.



Tuesday, September 9, 2008

Staubige Welt

Qatar - Stein, Staub und Sand

Immer noch ein bisschen überwältigt vom trockenen Land unweit der Arabischen Halbinsel, der Perle im Persischen Golf. Hier gibt es alles, nur kein kaltes Leitungswasser! In den Tanks auf den Dächern kommt das Wasser bei Außentemperaturen bis zu 40 Grad Celsius zum Brodeln und ergießt sich mit erbarmungsloser Wärme aus Doha's Wasserhähnen. Schnell lernt man bei der schneidenden Hitze, nicht ohne eine Flasche Trinkwasser aus dem Haus zu gehen. Während des heiligen Ramadan ist Essen und Trinken tagsüber in der Öffentlichkeit jedoch generell nicht gestattet. Auch alle Geschäfte und Restaurants haben während des heiligen Monats tagsüber geschlossen. Erst lange nach Sonnenuntergang füllen sich die Straßen und Plätze. Und dann wimmelt es auch in den klimatisierten Malls an stolzen Scheichs und verhüllten Frauen. Hier gibt es alle Annehmlichkeiten, die das moderne Leben zu bieten hat. Ein bisschen erinnert der Lebensstil an die USA: pompös, schnelllebig, verschwenderisch, rücksichtslos.


Ein Ausflug in die Wüste wird zum einmaligen Erlebnis. Im Jeep-Konvoi fahren wir zunächst bis zum Rand der Wüste, wo von den Reifen Luft abgelassen wird. In teils waghalsig anmutenden Fahrexperimenten rasen wir auf eine Sanddüne zu und den Berg hinauf, bis der Fahrer das Lenkrad rumreißt, um den Jeep in ungewöhnlich steiler Neigung zurück zum Ausgangspunkt gleiten zu lassen. Ein wenig stockt der Atem schon, auch wenn die Jeeps angeblich nicht umfallen können. Spieldünen nennen sie das! Wunderschöne Landschaften offenbaren sich - soweit das Auge reicht nur Sand und hin und wieder ein Fetzen vom Persischen Golf, der bei einem Bad allerdings ebenso wenig Abkühlung bietet.


Auf dem Rückweg kreuzen ein paar Arabische Kamele unseren Weg, die querfeldein durch die Stein- und Staubwüste traben. Aus der Nähe betrachtet erscheinen sie groß, aber liebenswürdig. Sie lassen sich die Foto-Session gern gefallen und ziehen dann weiter. Ein bisschen Glück tragen sie wohl unter ihrem Höcker!