Sunday, September 21, 2008

Honky Tonk

Am ersten Wochenende machen wir zu Isabel's Geburtstag einen Ausflug in die etwa 150km entfernte Küstenstadt Allepey. Dort soll es schöne Teppiche und Körbe geben, die wir für unsere Wohnung gut gebrauchen können. Unser Fahrer, ein Bekannter, verspätet sich um zwei Stunden, sodass wir im dichten Verkehr fahren müssen. Aus der geplanten dreistündigen Fahrt werden sechs Stunden – einfacher Weg! Was als gemütlicher Ausflug geplant war, wird zum Albtraum. Schon in Trivandrum wollen wir fast umkehren, weil uns das Verkehrschaos übermannt. Unser Fahrer manövriert das Auto geschickt durch die unberechenbaren Objekte, die uns von allen Seiten über den Weg rollen.

Man muss sich vorstellen, dass auf den holprigen Straßen wirklich alles unterwegs ist. Vom Auto, über die Rikscha (einer Art motorisierter Kutsche), Fahrrädern und Fußgängern, bis zu Lastwagen, uralten Bussen mit völlig verrückt gewordenen Busfahrern, und nicht zu vergessen die gelegentlichen Kühe und Ziegen und sogar ein Elefant. Was man fast nicht beschreiben kann ist jedoch die Art und Weise, in der man sich fortbewegt. Ein einziges Kreuz und Quer ohne jegliche Anzeichen von Regelungen. Die meisten wissen zwar wie sie ihr Fahrzeug bedienen, aber haben sich nie mit Verkehrsregeln oder Fahrtheorie befasst.

So wird zum Beispiel die Hupe etwa aller 30 Sekunden dazu missbraucht, den eigenen Standort zu signalisieren. Egal, ob man sich von hinten einem anderen Fahrzeug nähert oder ein Fahrzeug auf der eigenen Spur entgegen kommt – es wird gehupt bis zum Umfallen! Schon zu Beginn der Reise scherzten wir mit unserem Fahrer, der ansonsten ein eher untypischer Inder ist, dass das jetzt hoffentlich keine Fahrt mit mehrstündigem Hupkonzert werden würde. Er lachte und beruhigte uns. Nach etwa einer halben Stunde und jenseits der Stadtgrenze machten wir ihn erneut darauf aufmerksam, dass er (scheinbar unbewusst) immer noch völlig grundlos aller 30 Sekunden hupt. Nicht nur, dass das auf die Dauer ziemlich nervt, auch ergibt es keinen Sinn, denn alle Verkehrsteilnehmer hupen (außer den Tieren) und folglich reagiert niemand darauf. Selbst streunende Hunde, die teilweise mitten auf der Straße ein Nickerchen machen, reagieren überhaupt nicht. Nach mehrfachem Gehupe entscheidet sich der Fahrer, um die Tiere herumzufahren. Auch die vielen angepflockten Ziegen und Kühe grasen in aller Ruhe inmitten dieses Höllenlärms.

Nach sechs Stunden Anspannung kommen wir endlich am Zielort an. Wir kaufen einen Teppich und trinken einen Kaffee. Das Highlight des Tages, den Sonnenuntergang, erleben wir mit vielen anderen Menschen, die mit ihren Familien einen Ausflug zum schönen Sandstrand von Allepey machen. Die bunt gekleideten Frauen und Kinder freuen sich, von mir fotografiert zu werden. Danach geht es mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 40 km/h (die empfundene Geschwindigkeit ist sehr viel schneller!) wiederum sechs Stunden zurück Richtung Trivandrum. Der Verkehr hat nach Einbruch der Dunkelheit stark nachgelassen und unser Fahrer passt sich unseren Wünschen an. Er verzichtet aufs Hupen und betätigt stattdessen seine Lichthupe. Er blendet jedes entgegenkommende Fahrzeug mehrmals und warnt jedes Fahrzeug vor uns, bevor wir zum Überholen ansetzen. Unser Ausflug endet nachts halb zwei und wir sind heilfroh, in einem Stück wieder auf dem Campus zu sein!





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