Saturday, October 25, 2008

Plastique Fantastique

Als 'Kreative Direktoren' macht unsere Kreativität natürlich nicht bei der Wohnungsgestaltung halt. Isabel und ich inspirieren uns gegenseitig mit Ideen, gehen gemeinsam auf Jagd nach antiken Möbeln, natürlichen Materialien, bunten Stoffen und passenden Accessoires. Die Wochenenden werden zu Entdeckungsreisen und Eroberungstouren durch die wenigen Kaufhäuser Trivandrums. Ein uns vertrauter Möbelhändler, der in abgelegenen Gegenden alte Möbelstücke aufkauft und restauriert, zeigt uns sein Lager. Fantastische Schätze kommen zum Vorschein: Wuchtige Schreibtische und Schränke, klassische Bettrahmen und Sitzgelegenheiten, aber auch herrlich verspielte Truhen, teils mit Geheimkammern! Ich streiche mit der Hand über das Holz und genieße den moderigen Geruch der alten Stücke. John macht daraus wieder würdige Möbel, die jedem Zimmer ein bisschen Eleganz verleihen. An einer Ecke der Scheune hockt ein uralter bärtiger Mann, mit Turban auf dem Kopf. Er trägt ein Lungi, das hiesige Beinkleid der Herren, bestehend aus einem Stück Stoff, was um die Hüfte gewickelt wird. Er zupft Gras aus dem Boden und sammelt es in einem Leinensack. Ich vermute, das ist sein Tageswerk, um genügend Geld für ein wenig Reis und Bananen zu verdienen. Normalität in einem Land, wo es kein soziales Netz gibt. Dennoch zeigt der alte Mann keinen Verdruss. Die Menschen scheinen zufrieden, mit dem was sie haben. In diesem Moment zerstört ein Dröhnen die Idylle. Der Boden vibriert und John schreit mir Worte zu. Der Schreck sitzt mir in allen Gliedern, aber John's ruhiges Gesicht verrät – es besteht keine Gefahr! Direkt neben dem Wohnhaus des Möbelmachers liegt die Landebahn des Internationalen Flughafen Trivandrums. Fassungslos blicke ich ihn und seine Frau an. Wie könnt ihr hier wohnen und schlafen? Vor allem nachts landen hier viertelstündlich Passagiere aus aller Welt, so wie ich vor gut 6 Wochen. Man gewöhne sich daran, lautet die Antwort. Mittlerweile ist die Maschine gelandet, die Motoren tosen noch in meinen Ohren. Im Haus sitzt der Sohn der Familie ruhig an einem Tisch und erledigt seine Hausaufgaben. Kurz denke ich an den Konflikt um das Nachtflugverbot in meiner Heimat und bemerke erneut, wie relativ doch alles ist!

Nach langer Suche haben wir einen schönen alten Schreibtisch, drei handgeknüpfte Teppiche aus Kokosfasern, zahlreiche Kissen mit orientalischen Mustern, und eine hübsche Papierlampe erstanden. Der spontan gekaufte Raumteiler aus schwerem Teakholz wird kurzerhand auf das Dach der Rikscha verladen. Shoppen in Indien macht Spaß! Langsam aber sicher fühlen wir uns ein wenig heimischer, die riesigen Wohnräume gähnen nicht mehr vor Leere. Am Ende des Tages bewundern wir unser Werk.

Das war genau einen Tag bevor der Monsun kam.

Mittlerweile hat sich der Schimmel vorzugsweise auf den neu erstandenen Möbelstücken ausgebreitet. Die Teppiche und Kissen haben wir kurzerhand aus den Zimmern entfernt. Mein Schlafzimmer betrete ich nur noch, um nach dem Stand der Dinge zu schauen und einzelne Gegenstände zu retten. Statt nach geschmackvollen natürlichen Materialien Ausschau zu halten, haben wir die letzten Ausflüge damit verbracht, die Rikscha voller Plastikgegenstände zu laden. Kleiderbügel, ein Besen, der als Kleiderstange dient, und jede Menge Plastikboxen. Hier kommt der Schimmel nicht rein – zumindest schöpfen wir wieder Zuversicht! „Plastique Fantastique“, rufe ich. Unser schönes neues Leben wird vorübergehend wieder verpackt.

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