Wednesday, October 15, 2008

White Cane Day

Tack, tack, tack, tack........an das Geräusch des Blindenstocks habe ich mich mittlerweile gewöhnt. Aber ihn selbst zur Orientierung zu benutzen, ja sogar darauf angewiesen zu sein, wenn auch nur für eine halbe Stunde, ist ein spannendes Erlebnis. Meine Augen mit einem bunten Schal verbunden, entdecke ich zunächst ohne Stock Isabel's Zimmer. Mit den Armen nach vorne ausgestreckt taste ich mich durch den Raum. Sogleich halte ich die lose Leiter vom Hochbett in den Händen. Danach stolpere ich über zwei Stühle und erfühle einen Fensterrahmen, wo ich eigentlich eine Tür vermutet hatte. Ein weiteres Bett und das weiche Gefühl der Bettwäsche. Irgendwo hier muss doch der kleine Stofftiger sein. Ich ertaste den Schrank und den Schreibtisch – ah Stofftiger gefunden! Die Tür zum Balkon und danach eine leere Wand. Aber wo zum Teufel steht die Waschmaschine – in der Mitte des Raumes? Mit weit ausgestreckten Armen und unsicheren Beinen gehe ich quer durch den Raum. Eine Ecke des Zimmers hatte ich ausgelassen. Dort steht ein großer Karton. Darin ist die neue Campus-Waschmaschine verpackt. Sabriye gibt mir die Aufgabe, mich auf kürzestem Weg zur Tür zu bewegen. Schnurstracks bin ich draußen, mein Orientierungssinn lässt mich nicht im Stich. Hier bekomme ich den Blindenstock in die Hand gedrückt. Langsam vor mir von rechts nach links rollend, aber nicht zu weit, bewege ich mich in Richtung des schmalen Ganges vorbei an den anderen Zimmern. Plötzlich senkt sich der Stock. Isabel schnappt nach Luft. Wäre ich doch beinahe die Treppe runter gefallen! Konzentriert versuche ich die Richtung neu zu bestimmen. Die Umgebung ist mir vertraut, der Gang muss weiter rechts liegen. Mutig taste ich mich vorwärts, folge dem weißen Stock, der mich vor Hindernissen warnen soll. Sabriye und Isabel schleichen hinter mir her. Plötzlich taucht vor mir eine männliche Stimme auf. 'Madam...' und ein paar unverständliche Worte. Ich denke, dass es Pappan der Wächter sein muss. Er lacht und gibt sich als Pillai der Koch aus. Wir müssen alle lachen. Ich hätte es besser wissen können, denn Pillai ist größer als Pappan. Abenteuerlustig laufe ich weiter und bleibe diesmal an der Treppe stehen. Treppauf fällt mir leichter als treppab. Mein Gleichgewichtssinn gerät beim Treppenabgang außer Kontrolle. Am Ende der Treppe mache ich einen weiten Ausfallschritt, um sicher zu gehen, dass keine Stufe mehr folgt. Plötzlich stehe ich vor einer weiteren Treppe, die nach oben führt. Hat das Gebäude drei Stockwerke? Das war mir nie aufgefallen! Wohin führt diese Treppe? Jetzt bin ich experimentierfreudig. Die Treppe endet an einer Tür, die zur Dachterasse führt. Leider ist sie abgeschlossen und ich muss die Erkundung an einem anderen Tag fortsetzen.

Diese kurze Exkursion hat Spaß gemacht, dennoch bin ich froh, den Schal abnehmen und die Augen wieder öffnen zu können. Der Campus ist eine recht geschützte Umgebung, aber wenn ich an das Chaos in der Stadt denke, bin ich froh, dass ich meine Augen zur Orientierung habe. Diese Übung gibt nur einen kleinen Einblick in die Welt der Blinden und einen Geschmack der Hürden, die Blinde jeden Tag bewältigen. Natürlich fällt es ihnen leichter, dennoch ist es beeindruckend, wie selbstsicher und geschwind sich Sabriye über den Campus bewegt. Dieser gleicht momentan noch einer lebhaften Baustelle, die jeden Tag neue Hindernisse aufweist. Mal hängen Kabel quer durch die Luft, mal werden Schächte gegraben, mal liegt ein Haufen Zement im Weg. Heute ist der Tag des Blindenstocks (White Cane Day). Ein Tag, an dem ich besonders dankbar für mein Augenlicht bin und ein Tag an dem ich zu denen aufblicke, die die Welt auch ohne dergleichen selbstbewusst meistern.

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